Anders als andere große bayerische Städte hat Ingolstadt bisher keine Antidiskriminierungsstelle. Dabei gehört es zu den sozial- und gesellschaftspolitischen Aufgaben einer Kommune, Chancengleichheit und Teilhabe für alle gesellschaftlichen Gruppen zu ermöglichen.
Diskriminierung liegt nicht so fern, wie man vielleicht meinen möchte. Gerade in letzter Zeit war bei vielen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen festzustellen, dass sich die Proteste nicht nur gegen die verordneten Einschränkungen richteten. Denn oftmals waren diskriminierende Parolen zu sehen und zu hören.
Die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle wäre ein wichtiger Schritt, um Rassismus und Ausgrenzung in unserer Stadt vorzubeugen. Ingolstadt hat einen hohen Migrationsanteil, aber kulturelle und soziale Vielfalt macht das Leben in einer Stadt auch attraktiv.
Die Fraktion hat nun beantragt zu prüfen, in welcher Form und in welchem Umfang eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet werden kann.
Hier der Antrag im Wortlaut:
Ingolstadt, 1. Dezember 2020
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
das Recht auf Diskriminierungsfreiheit ist im Artikel 21 der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ des „Vertrages von Lissabon“ festgesetzt, unser Grundgesetz hat in Artikel 3 ein Diskriminierungsverbot verankert. Auch für die kommunale Ebene erfolgt daraus zur Gewährleistung des Schutzes vor Diskriminierung ein Handlungsauftrag. In nahezu allen bayerischen Großstädten wie in München, Nürnberg und Augsburg gibt es städtische Antidiskriminierungsstellen. In Würzburg wurde ein Ombudsrat als unabhängige Antidiskriminierungsstelle geschaffen. Diesen Beispielen sollte auch Ingolstadt folgen.
Wir stellen deshalb folgenden
Antrag:
Wir bitten Sie zu prüfen, in welcher Form und mit wie vielen Wochenstunden eine Antidiskriminierungsstelle auch in Ingolstadt eingerichtet werden kann.
Begründung:
Chancengleichheit und Teilhabe für alle gesellschaftlichen Gruppen zu ermöglichen, gehört zu den sozial- und gesellschaftspolitischen Aufgaben einer Kommune. Wirtschaftliche Umbrüche wie aktuell durch die Corona-Krise sorgen bei vielen Menschen für Verunsicherung. Dadurch kann ein erhöhtes Potenzial für Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber gesellschaftlichen Gruppen entstehen. Zum Beispiel verzeichnet die RIAS („Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“) Bayern einen Anstieg antisemitischer Vorfälle im Kontext mit der Corona-Pandemie, auf Demos werde auch der Holocaust verharmlost. Wie die Süddeutsche Zeitung am 26. November 2020 berichtete, seien im Freistaat seit Beginn der Pandemie 94 antisemitische Vorfälle mit Bezug auf das Virus registriert worden, teils auf „Querdenker“-Demonstrationen. 25 dieser Vorfälle ereigneten sich RIAS zufolge in München. Nun soll die Stadt München einen Antisemitismus-Beauftragten bekommen.
Durch den zunehmenden Fachkräftemangel werden Migration und somit Integration auch wirtschaftlich immer relevanter. Die Attraktivität von Kommunen steigt, wenn sie über eine vielfältige kulturelle und soziale Infrastruktur und entsprechende Angebote für unterschied-liche gesellschaftliche Gruppen verfügen. Gleichstellung und Antidiskriminierung sind Querschnittsthemen. Um jedoch gezielt Weichen zu stellen für kompetente Beratung, Vermittlung und Unterstützung und für Maßnahmen zur Stärkung von Respekt und Vielfalt, ist eine Antidiskriminierungsstelle notwendig. Mehr als ein Drittel der Ingolstädter Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Der Ingolstädter Migrationsbeirat kann eine offizielle Anlaufstelle für Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Geschlechtes diskriminiert werden, nicht ersetzen. Zumal hier einige relevante Gruppen gar nicht vertreten sind.
Wir haben in Ingolstadt eine bunte LGBT-Szene. Auch Homo-, Bi- und Transsexuelle sowie queere Menschen können von einer offiziellen Stelle der Stadt profitieren, die bei Diskriminierungserfahrungen Beratung und Vermittlung anbietet. In Ingolstadt leben einige Sinti und Roma, sie sind seit Jahrhunderten in Deutschland beheimatet und Teil der einzigen in Bayern lebenden nationalen Minderheit. Im Staatsvertrag von 2018 zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bayerischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma wurde vereinbart, dass Maßnahmen umzusetzen sind, die dem Schutz und dem Erhalt der kulturellen Identität der hier als nationale Minderheit lebenden Sinti und Roma dienen.
Daraus ergibt sich auch für die Kommunen die Notwendigkeit proaktiver Maßnahmen. Eine zukünftige Ingolstädter Antidiskriminierungsstelle sollte eng zusammenarbeiten mit den Verbänden, Organisationen und Institutionen der Migrantinnen und Migranten, der LGBT-Community, der Menschen mit körperlichen und geistigen Handicaps sowie der Sinti und Roma und deren Expertise mit einbeziehen. Nur so kann eine ausreichende Akzeptanz von Maßnahmen bei den jeweiligen Zielgruppen erreicht werden.
Für eine Antidiskriminierungsstelle wäre folgendes Aufgabenprofil denkbar:
Eine Beschwerdestelle für Diskriminierung mit Vermittlung an spezialisierte Stellen sowie die Durchführung von Programmen für mehr Chancengleichheit und Teilhabe unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Eine Antidiskriminierungsstelle der Stadt wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Prävention vor Rassismus und Ausgrenzung in Ingolstadt.
Mit freundlichen Grüßen
Agnes Krumwiede, Barbara Leininger (Fraktionsvorsitzende), Christian Höbusch (Fraktionsvorsitzender), Stephanie Kürten, Maria Segerer, Jochen Semle, Dr. Christoph Spaeth
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