Am 8. Dezember 2022 fand die letzte Sitzung des Stadtrats im Jahr 2022 statt. Wie in jedem Jahr begann die Sitzung mit den Reden zum Haushalt des kommenden Jahres, der anschließend verabschiedet wird.
Hier die Rede von Christian Höbusch, Co-Vorsitzender der Grünen Stadtratsfraktion Ingolstadt, im Wortlaut:
Lieber Herr Oberbürgermeister,
Liebe Damen Bürgermeisterinnen,
Kolleg*innen,
dieses Jahr, diese Stadtratssitzung, diese Haushaltsdebatte ist für mich nicht gewöhnlich. Warum?
Weil wir gerade einen Krieg in Europa erleben. Nicht einmal 1.000 Kilometer Luftlinie von hier schlagen Raketen ein. Sie zielen auf lebensnotwendige Infrastruktur und treffen die Zivilbevölkerung. Nicht einmal 1.000 Kilometer Luftlinie von hier sterben mitten in Europa Menschen in einem unsinnigen, unnötigen Krieg. Dieser Winter hat erst begonnen.
Und dann ist da noch die Klimakrise. Dieser Herbst 2022 war der drittwärmste Herbst seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881. UN-Generalsekretär António Guterres sagte kürzlich auf der Weltklimakonferenz in Ägypten: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“
Meine allererste Frage heute in dieser Debatte lautet daher: Haben wir hier tatsächlich Probleme? Nein, wir haben hier keine wirklichen Probleme. Wir haben Herausforderungen zur Gestaltung. Wir können Grundlagen legen, wie sich unsere Stadt entwickeln kann. Ob sie das dann tut, können wir nur hoffen. Denn alles kann sich mit nur einem Wimpernschlag ändern.
Das hat uns dieses Jahr 2022 bitterlich gelehrt.
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Am 19. November sind nach Ingolstadt geflüchtete Ukrainer*innen durch unsere Stadt gegangen. Sie haben sich bedankt. Bedankt bei Deutschland, bedankt bei unseren Bürger*innen. Bedankt, dass unsere Gemeinschaft sie aufgenommen hat. Und sie haben an unsere Gemeinsamkeit appelliert. „Gemeinsam sind wir stark“, das haben die Menschen aus der Ukraine gerufen.
Die bereits signalisierte breite Zustimmung zum Haushalt 2023 sollte ein Keim solcher Gemeinsamkeit sein. Natürlich wird auch unsere Fraktion den Haushalt 2023 mittragen.
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Ich möchte dennoch nun einige Punkte aufgreifen. Diese, aber nicht nur diese, brauchen mehr Aufmerksamkeit.
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Erstens: Radmobilität
Das Fahren mit dem Fahrrad kann noch mehr ausgebaut und gefördert werden. Die Schaffung des Fahrradbeirates, der – unter Vorsitz von Frau Bürgermeisterin Kleine – die Verwaltung berät, Initiativen einbringt, ist ein Erfolg. Auch dass wir weiter an den Vorrangrouten arbeiten ist gut.
Aber: Im Investitionsprogramm stehen für 2023 unter den Haushaltsstellen 630.000 und 631.500 alleine für Fahrbahnerneuerungen und Ausbaumaßnahmen von Gemeinde- und Ortstraßen über 7,5 Mio. EUR. Erschließungen und Neubauten sind hier gar nicht mitgerechnet.
Hingegen: In der Haushaltstelle 631.100 stehen für ALLE Maßnahmen zum Radverkehr im gesamten Stadtgebiet nur etwas über 1,3 Mio. EUR. Der Bau ist da auch mit drin.
Beim Thema Radverkehr befinden wir uns in Ingolstadt daher leider immer noch in einer Schieflage. An diesem Verhältnis wird deutlich, dass wir schnellstmöglich ein Investitionsprogramm „Radverkehr“ in unserer Stadt brauchen. Der motorisierte Individualverkehr wiegt in Ingolstadt immer noch so schwer, dass er alternative Mobilität, vor allem das Fahrrad, auf der „Mobilitäts-Wippe“ ständig in der Luft hält.
Alternative Mobilität, das Fahrrad, bekommt nicht wirklich die Füße auf den Boden. Die aktuelle laufende Massenverkehrsmittelstudie ist ein Mosaikstein, um dies zu ändern, ja. Nur, die Umsetzung von möglichen Maßnahmen aus dieser Studie wird weit über unsere Wahlperiode hinaus dauern.
Hier und jetzt können wir aber den Radverkehr fördern, seinen Anteil erhöhen. Und das auch mit ganz einfachen Maßnahmen. Dazu kurz ein Beispiel aus eigenem Erleben:
Auf dem Weg zum Finanzausschuss letzte Woche war ich auf der Vorrangroute Süd, der Gustav-Adolf-Str. stadteinwärts unterwegs. Die Vorrangroute hat bei der Lindberghstraße, auf der Fahrbahn rot abmarkiert, gegenüber dieser Vorfahrt. Es kamen zwei Pkw von rechts. Das erste Auto missachtete meine Vorfahrt komplett und fuhr vor mir durch. Das zweite Auto konnte auf mein Handzeichen hin gerade noch abbremsen.
Was will ich damit sagen?
Wir brauchen neben aller Hardware für das Fahrrad auch Software-Updates bei den motorisierten Verkehrs-Teilnehmer*innen. Es muss ein ständig präsentes Bewusstsein geschaffen werden, dass Radfahrer*innen gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen sind. Dies, um Radfahrer*innen wirklich Vorrang zu gewähren und damit den Radverkehrsanteil in unserer Stadt spürbar und dauerhaft zu erhöhen.
Gott sein Dank ist das Thema Fahrrad in Ingolstadt aber Chefinnen-Sache und damit in guten Händen.
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Liebe Frau Stadtbaurätin, lassen sie uns schließlich gemeinsam auch mal wieder über das Thema „Stellplätze“ nachdenken.
Wie können wir den Stellplatzbedarf beim Neubau von großen Wohnanlagen zugunsten von Radinfrastruktur und anderer nachhaltiger Mobilität verändern? Eine große Chance dazu ist leider an uns vorübergezogen. Ich meine das BayernHeim-Projekt. Weitere Chancen aber müssen, werden kommen. Weitere Chancen müssen wir ermöglichen.
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Kleine Zwischenbemerkung:
Der „Markenclaim“ von BayernHeim lautet übrigens „Nachhaltig wohnen – Wir machen das“. Anspruch und Auftrag zugleich.
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Zweitens: Nachhaltig nachhaltig.
Was meine ich damit? Ein paar Beispiele.
Erstes Beispiel – Bauen:
Die Hälfte des Klimaproblems geht zu Lasten des Bauwesens. 40 % des weltweiten CO2-Ausstoßes werden von Bauwerken verursacht. Weitere 10 % ergeben sich aus der Bautätigkeit generell. Damit sind wir bereits bei der Hälfte. Daneben werden 60 % des jährlichen Abfallaufkommens in Deutschland von Bauschutt verursacht.
In Zukunft kann daher nicht mehr nur gefragt werden: „Wo-Bauen“, „Ob-Bauen“ oder „Nicht-Bauen“. Es muss vor allem um das „Wie-Bauen“ gehen. Denn in Gebäuden schlummern gewaltige Potenziale für positive Veränderungen. Nachhaltig errichtete Baudenkmäler geben uns dabei auch eine Richtung vor, wie die bauliche Zukunft aussehen kann. Viele übertreffen sogar die Lebenszyklen moderner Gebäude.
Mit der Erhöhung der KfW-Energiestandards für städtische Gebäude gehen wir einen guten Schritt. Weitere Schritte aber müssen folgen. Es braucht einen verbindlichen und lebenden Katalog der Baustoffe, die wir unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit zukünftig in unserer Stadt verwenden wollen. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit sind dabei unsere Leitplanken.
Die Recyclingfähigkeit etwa – ich sage nur nochmals „Bauschutt“ – muss dabei auch ein maßgebliches Kriterium sein. Dabei sagen wir auch ganz klar für öffentliche Gebäude: PVC ade!
Mit Gesamtkosten laut Investitionsprogramm von derzeit über 160 Mio. EUR ist die Generalsanierung des Klinikums das größte laufende Vorhaben in Ingolstadt. Wir vermissen hier eine Sanierung konsequent auch unter ökologischen, nachhaltigen Aspekten. Zumindest – dies sei zu meiner präventiven Verteidigung gesagt – lässt sich hierüber wenig öffentlich in Erfahrung bringen. Denn wenn ökologische und nachhaltige Kriterien bei der Sanierung maßgeblich berücksichtigt werden, sollte dies auch offensiv kommuniziert werden.
Handle nachhaltig und rede darüber.
Zweites Beispiel – Kultur:
Die finanziellen Banden werden enger. Ja. Ab 2025 müssen wir wohl – so die gegenwärtige Prognose – auf Defizitfinanzierung zurückgreifen.
Nach dem „Kulturwinter“ im Sommer 2022 brauchen wir jetzt einen „Kultursommer“ im Winter 2022/23. Wir brauchen schnellstmöglich eine Ersatzspielstätte für das Theater in unserer Stadt. Lassen sie uns nachher mit einer Stimme sprechen. Die These, dass die gesamte Generalsanierung des Theaters bei laufendem Betrieb möglich ist, wurde ja schon mehrfach – zuletzt im Finanzausschuss – widerlegt.
Und, wir müssen auch im Kulturbereich, nicht nur bei den Bauten, die CO2-Bilanz viel mehr stets mitdenken. Das geht vom Catering bis hin zum Transfer der Künstler*innen. Wir brauchen einen CO2-Ausweis auch für Kulturveranstaltungen. Einen beispielhaften CO2-Rechner für die Kultur gibt es dazu bereits.
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Drittens: Inklusion
Kolleg*innen,
wir müssen stets bei unseren Entscheidungen die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen mit Beeinträchtigungen mitdenken. Auch dies ist Nachhaltigkeit. Inklusion wird etwa im SDG 11 für die Stadtentwicklung schwerpunktmäßig thematisiert und eingefordert.
Inklusion, etwa in der frühkindlichen Bildung im Kita-Bereich, braucht dabei nicht nur bauliche, sondern auch personelle und konzeptionelle Verankerung. Hier geht – ebenso in der lokalen offenen Kinder- und Jugendarbeit – neben Hardware auch noch mehr Software. Unser TOP Ö36 heute lässt uns ein wenig in die Softwareentwicklung blicken.
Denn ohne Software läuft der Laden nicht.
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Lieber Herr Oberbürgermeister,
liebe Damen Bürgermeisterinnen,
Kolleg*innen,
in Zeiten der zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft und der Extreme an den Rändern brauchen wir Chefinnen-Sachen und Chef-Sachen, ja. Doch, wir müssen die Belange unserer Stadt wieder viel, viel mehr – und nicht nur wir hier – zur gemeinsamen Sache machen.
Denn: Unsere Stadt ist Aller-Sache.
Danke.
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